Macht der Schulalltag krank? Belastende Arbeitsbedingungen im Lehrerberuf

Das Bild des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit ist sehr gespalten. Man hört und liest einerseits viel über katastrophale Bedingungen an Schulen, findet Berichte über ausgebrannte Lehrer, Frühpensionierungswellen und enorme Krankenstände beim Lehrpersonal. Andererseits halten sich hartnäckig die Klischees über Lehrer als gut bezahlte „Teilzeit-Jobber“, die um 14h Feierabend haben und 12 Wochen Ferien pro Jahr genießen. Viele Forscher haben mittlerweile festgestellt, dass der Lehrerberuf zu den Berufen zählt, in denen die Anzahl psychisch belastender, stress-auslösender Faktoren überdurchschnittlich hoch ist. In diesem Artikel möchte ich einige dieser belastenden Faktoren vorstellen. Was sind nun typische Belastungen im Lehrerberuf?
  1. Die Komplexität der Tätigkeit

Der Lehrerberuf hat eine vielschichtige und komplexe Anforderungsstruktur. Einige Forscher schätzen ihn als einen der anstrengendsten Berufe überhaupt ein. Was sind laut Kultusministerkonferenz die komplexen Anforderungen die an Lehrer gestellt werden?
  • Lehrer sind Wissensvermittler mit Bildungsauftrag und Fachleute für das „Lehren und Lernen“.
  • Lehrer haben Motivationsaufgaben.
  • Lehrer haben Erziehungsaufgaben.
  • Lehrer haben Beratungsaufgaben.
  • Lehrer haben Beurteilungsaufgaben
  • Lehrer sind angehalten sich ständig weiter zu bilden und ihre Kompetenzen weiter zu entwickeln.
  • Lehrer haben Organisations- und Verwaltungsaufgaben.
  • Lehrer sind beteiligt an der Schulentwicklung und setzen Reformen um.
  Allein an dieser Aufzählung wird deutlich, dass Lehrer über das reine Fachwissen hinaus eine Vielzahl von Fähigkeiten und Kompetenzen benötigen. Auch Aspekte der Persönlichkeit spielen in ihrem Beruf eine wichtige Rolle. Da Lehrer eng mit Menschen zusammenarbeiten, müssen sie in der Lage sein, Situationen schnell einzuschätzen und flexibel zu reagieren. Untersuchungen zu Folge müssen Lehrer in einer einzelnen Unterrichtsstunde bis zu 40 Entscheidungen treffen, was eine hohe Anforderung an die kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen darstellt.  
  1. Arbeitszeiten und quantitative Überforderung

Auch wenn Lehrern häufig vorgehalten wird, lediglich „akademische Halbtagsjobber“ zu sein, zeigen statistische Erhebungen, dass Lehrer im Durchschnitt eine höhere Wochenarbeitszeit haben als viele andere Arbeitnehmer. Neben dem eigentlichen Stundendeputat müssen in der Regel zusätzliche Aufgaben und Pflichten erfüllt werden. Von Besprechungen (oft auch einfach so zwischen Tür und Angel in der 5-Minuten-Pause) über Elternsprechtage, Elternabende und Konferenzen bis hin zu Klassenfahrten, Ausflügen, Wandertagen und Projekten, ist alles dabei. Die Pausen können selten als reine Erholungszeiten genutzt werden. Lehrer sind ständig ansprechbar. Auch die Unterrichtsvorbereitungen und die Korrektur von Klassenarbeiten bedeuten, je nach Fächerkombination, einen zum Teil enormen zusätzlichen Zeitaufwand. Hinzu kommt, dass es vielen Lehrern schwer fällt, eine klare Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, da ein beträchtlicher Teil der Arbeit zu Hause erledigt werden muss. Adäquate Arbeitsplätze an Schulen sind leider kaum vorhanden. So leben viele Lehrer in dem Gefühl, eigentlich nie mit allem fertig zu sein und nie wirklich Feierabend zu haben. Es fällt ihnen schwer, abzuschalten und zu entspannen. Besteht zusätzlich noch die klassischen „Doppelbelastung“ aus Arbeit und Familie, kommt es oft zu weiterer innerer Spannung.
  1. Lehrer als „Einzelkämpfer“

Obwohl sie Teil eines großen Kollegiums sind, beklagen viele Lehrer die mangelnde soziale Unterstützung durch Kollegen und Schulleitung. Sie fühlen sich mit den Anforderungen und Schwierigkeiten des anspruchsvollen Lehrerberufs allein gelassen und weitestgehend auf sich gestellt. Das Fragen nach Hilfe und das Einräumen eigener Überforderung werden zudem von vielen Lehrern als Zeichen von Schwäche und Inkompetenz empfunden und möglichst vermieden. Der stressige und oft eng getaktete Schulalltag lässt sowieso wenig Raum für informelle kollegiale Gespräche und gemeinsame Problemlösungen. Der systematische Austausch von Lehrmaterialien oder die Zusammenarbeit bei der Vorbereitung von Unterrichtsreihen kommen in vielen Kollegien kaum vor. Fest installierte Angebote wie Intervisionen (fachlich-kollegialer Austausch und Beratung unter Gleichgestellten), Supervisionen (Beratung und Problemlösung mit einem -meist externen- Experten), Fallbesprechungen oder gegenseitige Unterrichtsbesuche gibt es an den meisten Schulen nicht. Bezüglich der Frage, ob ggf. an der Schule tätige Schulpsychologen auch Ansprechpartner für Lehrer und deren Belastungen sind oder sein könnten, besteht meist keine Klarheit. Vor allem junge Kollegen mit fehlender Berufserfahrung kommen schnell an ihre Grenzen und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Erste Unsicherheiten und Überforderungen können sich so verfestigen und zu ungünstigen Entwicklungen führen. Laut Untersuchungen kommt der Schulleitung in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu. So haben Unterstützung und Rückhalt durch die Schulleitung einen immens positiven Einfluss auf das gesamte Schulklima und das soziale Klima im Lehrerkollegium. Auch die Schulleitung benötigt allerdings angesichts steigender Anforderungen Unterstützung, die es wiederum kaum gibt. Hier schließt sich der Teufelskreis.
  1. Umgang mit schwierigen Schülern

In Umfragen und Untersuchungen unter Lehrkräften wird der Umgang mit schwierigen Schülern durchgehend als einer der größten Belastungsfaktoren im Schulalltag genannt. Es scheint vergleichsweise hohe Zusammenhänge zwischen der Anzahl schwieriger Schüler, mit denen ein Lehrer konfrontiert ist und dem Ausmaß der subjektiv wahrgenommenen Belastung zu geben. Viele Lehrer sehen eine negative Entwicklung des Schülerverhaltens über die letzten Jahre und Jahrzehnte. Disziplinprobleme, fehlende Lernmotivation und eine deutlich verminderte Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne der SuS werden beklagt und als große Beeinträchtigung bei der Unterrichtsgestaltung erlebt. Ein grundlegendes Desinteresse an den Lerninhalten und eine Verweigerungshaltung der SuS sind mittlerweile keine Seltenheit mehr und führen zu Gefühlen von Frustration, Macht- und Hilflosigkeit auf Seiten der Lehrer, die trotz ihrer Bemühungen nicht zu den SuS durchdringen. Erschwert wird die Situation durch die tendenziell ansteigenden Klassengrößen, die es dem Lehrpersonal schwer machen, ausreichend auf einzelne Problemschüler einzugehen und sich intensiver mit diesen auseinander zu setzen.
  1. Erziehungsaufgaben

Neben der Vermittlung von Wissen und Bildung ist der Erziehungsauftrag die zweite, nicht weniger wichtige Kernaufgabe und Zielsetzung des Lehrerberufs. Für viele Lehrer ist dieser Auftrag ein positiv herausfordernder Aspekt ihrer Tätigkeit, der Sinn und Erfüllung verspricht. Sie sehen sich nicht nur als „Wissensvermittler“, sondern haben Freude daran, ihrer pädagogischen Aufgabe nachzugehen, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten und ihnen wichtige Impulse mit auf den Weg zu geben. Nicht zuletzt haben Lehrer schließlich eine Vorbildfunktion und sind in vielen Hinsichten Modelle für ihre Schüler. In den letzten Jahrzehnten machen es gravierende gesellschaftliche Veränderungen Lehrpersonen allerdings immer schwerer, ihrem Erziehungsauftrag noch gerecht zu werden. Aufbrechende Familienstrukturen und eine stetig gestiegene Anzahl alleinerziehender, berufstätiger Elternteile haben starke Auswirkungen auf die familiäre Erziehungskultur. Vielen Eltern bleibt wenig Zeit, sich intensiv mit ihren Kindern zu beschäftigen, sodass sich Erziehung immer stärker ins schulische Umfeld, sprich auf die Lehrer, verlagert. Dies macht eine Ausweitung des Erziehungsauftrags der Lehrer notwendig, die jedoch in den aktuellen Strukturen des Schulalltags nicht berücksichtigt ist. Viele Lehrer sehen sich nicht mehr in der Lage, ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden, was für Frustration und Unzufriedenheit sorgt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Einstellung vieler Eltern den Lehrern gegenüber gewandelt deutlich geändert hat. Wurde sie früher eher als „Bündnispartner“ in der Ausbildung und Erziehung des Kindes gesehen, werden Lehrer heute meist einer kritischen Prüfung unterzogen. Eltern suchen Fehler und Verantwortung (z. B. für schlechte Noten) schnell beim Lehrpersonal und nicht bei sich selbst oder ihrem Kind. Beschwerden und Anfeindungen Lehrern gegenüber sind an der Tagesordnung und sorgen für Ärger und Stress.
  1. Rollenvielfalt und Rollenkonflikte

Lehrer sind in ihrer Tätigkeit in ein Netzwerk von unterschiedlichen Rollen eingebunden und somit einer Vielfalt von Erwartungen ausgesetzt. Wer sind nun die Erwartungsträger?
  • Gesellschaft/Öffentlichkeit
  • Übergeordnete Institutionen (Schulamt, Schulbehörde usw.)
  • Schulleitung
  • Schülerinnen und Schüler
  • Kollegen
  • Eltern
  • Erwartungen des privaten Umfelds
  • Eigene Erwartungen und Ansprüche an sich selbst
Es ist nicht verwunderlich, dass Rollenkonflikte vorprogrammiert sind und es selbst mit großer Anstrengung unmöglich ist, allen Erwartungen gleichermaßen gerecht zu werden. In Abhängigkeit von individuellen Persönlichkeits- und Einstellungsmerkmalen, kann dies zu erheblicher innerer Spannung und Unzufriedenheit führen.
  1. Fehlende Anerkennung

Viele Lehrer sind es gewöhnt, lediglich Rückmeldung von der Schulleitung zu erhalten, wenn es Probleme gibt, sich z. B. ein Elternteil oder Schüler beschwert hat, eine Frist nicht eingehalten wurde oder ähnliches. Ansonsten gilt an vielen Schulen das Motto: „Kein Tadel ist schon Lob genug.“. Erfüllt die Lehrperson ihre Aufgaben gut und reibungslos, wird dies in der Regel unkommentiert gelassen und nicht positiv hervorgehoben. Nur selten erhalten Lehrer direkte Anerkennung oder positives Feedback von Vorgesetzten, Kollegen, Eltern oder Schülern. Sie sind darauf angewiesen, eigene Kriterien und Maßstäbe zu finden, um den Erfolg ihrer Arbeit zu beurteilen, was keine leichte Aufgabe ist. Harte und objektive Kriterien gibt es kaum. Ist eine gut ausgefallene Klassenarbeit ein Zeichen für guten Unterricht oder war die Arbeit zu einfach? Und auch mit einer perfekt geplanten Unterrichtsstunde wird ein Lehrer selten alle Schüler gleichermaßen erreichen. Zusätzlich leiden Lehrer unter der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung ihres Berufs. Das Image des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit wird Umfragen zufolge in den letzten Jahrzehnten zwar kontinuierlich positiver, einige Vorurteile halten sich jedoch hartnäckig. So müssen sich Lehrer immer noch als „Halbtagsjobber“ oder „faule Säcke“ bezeichnen lassen. Der Mangel an Anerkennung führt bei vielen Lehrer im Laufe der Dienstjahre dazu, dass sie ein größer werdendes Ungleichgewicht zwischen dem von ihnen investierten Aufwand und der erhaltenen Anerkennung empfinden, was zu Frustration und Unzufriedenheit und im schlimmsten Fall zu Resignation und einer „inneren Kündigung“ führen kann.
  1. Reformen und gesellschaftliche Entwicklungen

Lehrer sind „Kämpfer an vorderster Front“, wenn es darum geht, strukturelle Veränderungen und Reformen im Schulsystem umzusetzen. Gerade in den letzten Jahren gab es Veränderungen mit weitreichenden Folgen für die tägliche Arbeit und die Unterrichtsstrukturen. Ich möchte hier als Stichworte lediglich G8, Inklusion und die Integration von Flüchtlingen nennen, ohne näher darauf einzugehen. Bei meinen Recherchen ergab sich das Bild, dass Reformen in der Regel schlecht bis gar nicht vorbereitet werden, es kaum gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für das Lehrpersonal gibt, die Informations- und Kommunikationsstrukturen nicht funktionieren und Lehrer somit häufig „ins kalte Wasser springen“ müssen. Ähnlich problematisch stellt sich der Umgang mit herausfordernden gesellschaftlichen Entwicklungen dar. So gibt es wenig Unterstützung zum Umgang mit Phänomenen wie Gewalt unter Schülern oder gegen Lehrer, Mobbing oder steigenden Zahlen von Schülern mit Migrationshintergrund, um nur einige Beispiele zu nennen. Lehrer fühlen sich hier oft allein gelassen und wünschen sich Konzepte und Interventionen der Behörden, die jedoch nicht oder erst spät erfolgen.  

Und jetzt?

Diese Aufzählung soll dir verdeutlichen, dass du in deiner täglichen Arbeit im Lehrberuf einer Vielzahl von Belastungsfaktoren ausgesetzt bist. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Lehrer automatisch das Burnout-Syndrom oder eine andere stress-bedingte Erkrankung entwickelt. Dabei spielen immer auch individuelle Faktoren und viele Wechselwirkungen eine Rolle. Du kannst diesen Artikel aber zum Anlass nehmen, eine kleine Bestandsaufnahme für dich zu machen: Als wie anstrengend und belastend empfindest du deinen Berufsalltag? Fühlst du dich häufig gestresst? Leidest du unter Erschöpfungssymptomen? Solltest du etwas für dich tun, um Stress und Belastung zu reduzieren?

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„Good Bye Burnout“



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